Günther Uecker

„Herr! Diese Karawane
begleite die ewige Güte“

Ehsan Aghaee
Kunsthistoriker


Ich betrachte Shiraz im Laufe der Jahrhunderte; ich sehe die von Gärten gesäumten Gassen von Roknabad und ich sehe Shams ol-Din Mohammad; es scheint, als würde er es „auf eine neue Art erbauen“2 und für die „von Schmerz übervolle Brust ein Heilmittel suchen“3. Ein immer wieder auftretender Schmerz strömt durch die verwinkelten Vorräume der Geschichte; er ist derjenige, der dieses große Erbe schützen muss. Er denkt, „der Himmel konnte nicht tragen die Last eines solchen Pfandes“4 und er weiß, „von Menschlichkeit ist nichts zu finden auf dieser staubigen Erde“5. Er, Shams ol-Din, mystische Zunge, Seher der Geheimnisse und Wahrer des Koran, trägt eine einzigartige Aufgabe auf seinen Schultern und ein göttliches Vertrauen in seinem Herzen. Er muss erschaffen und dichten, er muss einen alten Auftrag ausführen, die Erinnerung an die Tage der Schöpfung, „der Liebenden Lachen und Weinen bestimmt man woanders“6.

Ja, es ist die Rede von einem Auftrag ohne Zeit und Ort, von ewig nach ewig; und der Khaje von Shiraz ist ein Teil der Karawane der Herzen geworden, in einem präzisen und komplizierten Abschnitt der Geschichte, so wie es der allmächtige Gott vorschreibt, „denn was keinen Anbeginn hatte, dem ist auch kein Ende bestimmt“7. Wie schon früher sehnsuchtsvolle Männer dieser Karawane, trug er für die kommende Generation ein Geheimnis in seinem Herzen, und er gab das große Geheimnis so gut wie möglich über die Grenzen von Iran, Fars und Shiraz weiter. Shams Al-Din folgt dem Pfad der Liebe und der Hingabe zu Gott und erreichte wonach ihn verlangte und kam dort an wohin es ihn verlangte. Er war dazu bestimmt, diese Vorstellung durch Dichten fortzusetzen, ein Dichten in seinem eigenen, dem „Hafez-Stil“ aus der Tiefe seines Herzens, ohne einen Schleier zwischen „Liebendem und Geliebtem“8. Er zeigte Dankbarkeit für die Genauigkeit „diesen Weg mit der Karawanengefolgschaft von Khizr zu reisen“9, „welch eine beglückende Dämmerung und welch eine selige Nacht war’s“10!

„Jahrhunderte folgten Jahrhunderten, aber die Bedeutungen blieben die gleichen und sind es noch“11, so wie der Kreislauf der Liebe. Der Wille Gottes ist zu sehen, der Vogel der Bedeutung fliegt und die Menschen sind voller Unruhe. Auf der anderen Seite der Welt, gab es einen Verstörten, der diese Tradition in einer Zeit fortsetzte, in der „es keinen Stift gab, das Geheimnis von Liebe zu offenbaren“12. Von den Bewohnern des Schmerzes und der Wahrnehmung, gekränkt von der „Verletzung der Menschen durch den Menschen“13. Ein vertrauter Fremder, der „sich selbst überwindet und mutig schreitet zur Tat“14. Der Wille Gottes bestimmte, dass er einem Geographen gleich eine Reise zum alten Iran antrat und eine innere Reise zu den alten Tagen des Iran. Eine Reise, die als Preis für ihn gedacht war, ihm gewidmet wurde. „Wir folgen niemandem von selbst/wir werden von jemandem mitgenommen, dessen Seil uns bindet.“15

Günther Uecker begann an ein Seil gebunden und mit einem sehnsuchtsvollen Herzen die Karawane zu begleiten und mit der Gnade Gottes versehen. Eine Karawane, die so lang ist wie die gesamte Geschichte und die über die gesamte Zeit voller Liebe und Leidenschaft ist, die all ihren Gefährten zuteilwird, ohne dass sie danach fragen. Die Gesellschaft dieser Geliebten hat Uecker inspiriert, Werke zu schaffen, die den aufmerksamen Besucher in das Land des Denkens und Staunen führen können und ihn mit einer tiefen Wahrnehmung segnen, als würde er Werke betrachten, die den anderen Werken Ueckers nicht ähnlich sind, und das ist der Punkt, der den Gelehrten zu einer reinen Wahrheit führt:

„Wer ist es, der in meinem Ohr mein Lied hören kann / oder wer ist es, der
die Worte in meinen Mund bringt?“16 Ja, diese Werke wurden von einer
anderen Quelle in Ueckers Geist und seinem Herzen freigesetzt, und er hat das
entworfen, was er in seinem Herzen fand.

Die Gefolgschaft dieser Karawane ist eine Straße ohne Rückkehr, die nur diejenigen beginnen, die mutig sind und sie begreifen. Was wir heute sehen, ist weder Hafez’ Gedicht noch Ueckers Werk. Es ist eine Erzählung von einem Ringen um die Hingabe zu Gott, die alle Herzen gewinnen kann doch nicht verstanden werden kann.17 Ich glaube, dass Uecker sich dessen auch bewusst ist. „Dieselbe Geschichte, nichts andres, ist Liebesleid immer! Erstaunlich, dass jeder, von dem ich sie hör’, die Geschichte anders erzählt.“18

 


Sämtliche zitierte Übersetzungen der Hafes-Gedichte sind vom Tehran Museum of Contemporary Art (TCoMA) zur Verfügung gestellt worden.

  1. „Herr! Diese Karawane ewige Güte: Durch sie ging der Feind in die Falle/und die Herzallerliebste ward mein! Hafez 310
  2. „komm, lass uns Rosen verstreuen/den Kelch lass uns füllen mit Wein, das Himmelsgewölbe zerschmettern/auf neue Art es erbauen!“ Hafez 374
  3. „Die Brust ist von Schmerz übervoll mir!/Ach, Heilmittel gibt es keines. Vor Einsamkeit stirbt fast das Herz mir!/ Wo ist ein Vertrauter, bei Gott?“ Hafez 470
  4. „Der Himmel konnte nicht tragen/die Last eines solchen Pfandes: Den Namen von mir Verrücktem/fiel deshalb nun dieses Los zu.“ Hafez 184
  5. „Von Menschlichkeit ist nichts zu finden/Auf dieser staubigen Erde: Man muss eine andere Welt schaffen/und neue Menschen dazu!“ Hafez 470/670
  6. „Der Liebenden Lachen und Weinen/Bestimmt man woanders: Ich singe des Nachts und beim Dämmern/Des Morgens, da schluchz’ ich …“ Hafez 380
  7. „Nicht enden wird die Geschichte/Von mir und meiner Geliebten, denn was keinen Anbeginn hatte/dem ist auch kein Ende bestimmt.“ Hafez 310
  8. „Es gibt nichts, was zwischen Geliebtem/Und Liebendem steht und sie trennt: Du selbst bist dein eigener Schleier/o Hafez: aus ihm tritt heraus!“ Hafez 266
  9. was missing
  10. „Welch eine beglückende Dämmerung/Und welch eine selige Nacht war’s, die Schicksalsnacht, in der man/dies neue Zeugnis mir gab!“ Hafez 183
  11. Molana Jalal-e-Din Mohammad Molavi Rumi, frei übersetzt
  12. Hafez 440, frei übersetzt
  13. Titel eines Werks von Günther Uecker übernommen aus dem Alten Testament. 1992
  14. „Die Stadt ist leer von Verliebten!/Ist’s möglich, dass irgendwo anders/Sich selbst überwindet ein Mensch/und mutig schreitet zur Tat?“Hafez 189
  15. Saadi 437, frei übersetzt
  16. s. Molana Jalal-e-Din Mohammad Molavi Rumi, Masnaviye Man’avi, Daftare sheshom, frei übersetzt
  17. s. Maqalat-e Shams-e Tabrizi
  18. Hafez 39