Günther Uecker

„Dialog der Künste als Beitrag
zum Dialog der Kulturen“

Prof. Dr. Norbert Lammert
Präsident des Deutschen Bundestages


Günther Uecker und die Sprache: ein eigenes großes Kapitel im umfangreichen und vielseitigen Lebenswerk dieses bedeutenden Künstlers, nicht ganz so auffällig, aber nicht weniger wichtig und beinahe so virtuos wie sein legendäres Verhältnis zu Nägeln.

„Das Bild beginnt da, wo die Sprache versagt“, beschreibt Uecker sein Verständnis dieser beiden, scheinbar weit entfernten Grundformen menschlicher Kommunikation. Dass er damit ausdrücklich nicht eine künstlerische Ausdrucksform über die andere erheben will, demonstriert er mit seinem neuen Werk einmal mehr auf eindrucksvolle Weise. Wort und Bild: dieses vermeintliche Gegensatzpaar zieht Uecker seit langem an; Sprache und Schrift haben ihn immer wieder gereizt, ihn nachhaltig inspiriert. Dies gilt sowohl für den Inhalt wie für die Form herausragender Texte, für ihre Botschaft wie für das Schriftbild als ästhetische Herausforderung. Mit den großen Dokumenten der Zivilisationsgeschichte der Menschheit hat Günther Uecker sich immer wieder auseinandergesetzt und ihre Botschaft in grandiosen Ausstellungen in aller Welt vermittelt: der Thora, der Bibel, dem Koran, der Menschrechtscharta der Vereinten Nationen. In seinem großen, beinahe enzyklopädischen Werk „Graphein“ hat er sich mit nicht weniger als einem Dutzend Schriftarten aus den zurückliegenden Jahrtausenden befasst und sich diese mit seiner Handschrift künstlerisch zu eigen gemacht – von der Keilschrift über das Aramäische, Hebräische, Griechische, Kyrillische bis zur lateinischen Schriftweise.

Auch seine „Huldigung an Hafez“ ist mehr als das liebenswürdige Schwärmen für die Lyrik des berühmtesten persischen Dichters, vielmehr das vitale Bedürfnis, dessen Botschaft der Liebe, des Gottvertrauens, der menschlichen Zuneigung und des wechselseitigen Verständnisses im Dialog der Künste als Brücke zwischen der islamischen Kultur und der westlichen Zivilisation über die Jahrhunderte hinweg in die Gegenwart zu übersetzen. Wörter werden zu Farben, der Klang der Poesie zu geschriebenen Bildern.

Von der Sprache als künstlerische Inspirationsquelle ist auch sein früheres „Buch Hiob“ geprägt, das Uecker schon vor zehn Jahren in einem beeindruckenden Band interpretiert hat. Dabei eint beide Kunst-Bücher nicht allein die Vorlage eines sprachmächtigen Textes, auch in den Gestaltungselementen und elementaren Materialien erscheinen sie aufeinander bezogen. Auch dieses neue grafische Buch ist keine Illustration großer Literatur, Uecker interpretiert vielmehr mit den Mitteln seiner Kunst den Bilderreichtum in den Versen des persischen Mystikers. Neben der poetischen Kraft ist ein weiteres verbindendes Element der Ghaselen des Hafez mit den Strukturen und Formen in Ueckers Bildern der unverwechselbare Rhythmus, der beiden so wirkungsvoll zugrunde liegt.

Im Buch Hiob wird die ebenso naive wie existenzielle Erwartung der Menschen, dass eigenes Wohlergehen mit eigenem Tun in kausalem Zusammenhang stehe, brutal zerschlagen – für einen Künstler, der von sich sagt, Aggressionen sichtbar machen und ästhetisch umwandeln zu wollen, ein doppelt herausfordernder Stoff. Das Rauschhafte der Liebe und die schwärmerische Hingabe zu Gott in den Versen des Hafez scheinen demgegenüber eher untypisch für die Seelenlandschaften in Ueckers Bildern. „Mein ganzes künstlerisches Tun ist ein Ringen um ein komplexes Menschenbild im Prozess der Selbsterkenntnis“, hat er einmal über sich und sein Werk bekannt. Mit diesem Künstlerbuch fügt der begnadete Grenzgänger zwischen Religion und säkularer Kunst seinem Oeuvre nun eine weitere eindrucksvolle Facette hinzu. Einmal mehr kommt hier die außergewöhnliche Verbindung von Mensch und Kultur, Religion und Kunst, handwerklichem Können und visionärem Gestalten im Schaffen Günther Ueckers zum Ausdruck, wenn sich Sprache in Bilder und Bilder in Sprache verwandeln: ein Dialog der Künste als Beitrag zum ebenso schwierigen wie notwendigen Dialog der Kulturen in einer gemeinsamen Welt.