Günther Uecker

„Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“

Michael von Ungern-Sternberg
Früherer Botschafter der Bundesrepublik Deutschland im Iran


Was für eine Bedeutung für die heutige Zeit kann ein Satz haben, der vor 200 Jahren geschrieben wurde:

Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.

Dieser Gedichtausschnitt könnte aus der Gegenwart stammen. Es ist jedoch ein Zitat aus Johann Wolfgang von Goethes „West-Östlichen Divan“ aus dem Jahr 1819. In dem Satz steckt viel von dem, was Kultur und Kunst erreichen kann und vielleicht auch muss. Die Welt ist in den Zeiten der Globalisierung und des technischen Fortschritts immer weiter zusammengerückt. Vor Jahrzehnten vielleicht noch fern erscheinende Regionen sind uns heute nah, und Geschehnisse und Entwicklungen in einem Teil der Welt können schnell Auswirkungen auf einen anderen haben. Wie gut und wichtig ist es dann, wenn man sich selbst und andere kennt. Wenn man Verständnis entwickelt für andere Kulturen, wenn man Hintergründe kennenlernt und Traditionen und Bräuche versteht, die Rückschlüsse auf menschliches Verhalten und damit auch Politik heutzutage erlauben. Das geht nur, wenn man auf Menschen einer anderen Kultur zugeht. Sich einlässt. Nicht beladen mit Vorurteilen, sondern mit Neugier. Und die Reaktion des Gegenübers wird einem zeigen, dass schon ein wenig mehr Interesse und Verständnis das Vertrauen erzeugen, das ein Miteinander ermöglicht und eine Chance darstellt, Herausforderungen gemeinsam anzugehen.

Kulturaustausch schafft es, genau dieses Verständnis auf allen Seiten zu entwickeln. Die Ausstellung, der dieses Buch gewidmet ist, ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich Kulturen gegenseitig inspirieren können. 2012 hatte Günther Uecker die Gelegenheit, als einer der ersten westlichen Künstler seit 1979 im Iran auszustellen. Die Ausstellung war ein großer Erfolg. Und nicht nur konnte sich deutsche Kultur hier auf Weltniveau präsentieren und Iraner inspirieren, sondern gleichzeitig wurde Günther Uecker inspiriert. Vom Iran, den er bereiste, von der Kultur, die das Land seit Jahrhunderten prägt und auch heute seinen Menschen noch sehr präsent ist. Zugleich pflegen die Iraner jedoch auch eine starke und kreative Kulturszene, die nach vorne und zu anderen Kulturen schaut, ohne ihre eigenen Wurzeln zu vergessen. Seit der Ausstellung Ueckers im Jahr 2012 hat sich viel getan in der Kulturszene Irans. Ausstellungen westlicher Künstler sind keine Seltenheit mehr, es werden neue Kunstformen ausprobiert und alte Meister mit Stolz gefeiert. Iran präsentiert sich als das Land, das es ist: ein Land der Hochkultur, ein Land mit Menschen, die offen sind für Neues und den Austausch mit der Welt suchen. Deutsche Kultur hat es in den vergangenen Jahren erfolgreich geschafft, die Neugier und Offenheit der Iraner mit vielfältigen Projekten in den Bereichen Kunst, Musik und Theater zu bedienen. Und natürlich ist der Wunsch immer präsent, dass die im Iran weilenden deutschen Künstler von ihren Reisen etwas mitnehmen, dass aus ihren Aufenthalten etwas entsteht und deutsche Kulturarbeit keine Einbahnstraße ist. Diese Ausstellung ist ein Paradebeispiel dafür.

Die Anziehungskraft des großen persischen Dichters Hafez gerade auf deutsche Kultur ist in beiden Ländern bekannt, vor allem auf Grund von Goethes „West-Östlichen Divan“, einer von Hafez inspirierten Gedichtsammlung. Aber auch der Dichter Friedrich Rückert hat kurz nach Goethes Divan in seinem Gedichtband „Oestliche Rosen“ Hafez erfolgreich rezipiert und Hafez’ Verse einem deutschen Publikum nahe gebracht.

Nun also Günther Uecker, der anders als Goethe und Rückert die Gelegenheit hatte, den Iran und seine Menschen kennenzulernen. Eine Erfahrung, die anscheinend so intensiv war, dass Uecker diese Inspiration mit eigener Kunst ausdrücken musste. Auch er, wie Goethe und Rückert vor ihm, konnte sich Hafez nicht entziehen.

Wenn wir in diesem Buch und den Ausstellungen in Shiraz und Teheran die Früchte dieser gegenseitigen Inspiration sehen, dann erfüllt mich das mit großer Freude. Zum einen, weil sowohl die von Uecker ausgewählten Hafez-Zitate als auch die Kunst Ueckers wunderschön sind. Zum anderen, weil sie gemeinsam so harmonisch funktionieren und verschmelzen zu einem Kunstwerk, so als würden sie schon immer zusammen gehören. Dass die Wurzeln Ueckers und Hafez‘ tausende Kilometer und über 600 Jahre auseinander liegen, merkt man im Moment der Betrachtung nicht mehr, und es ist auch nicht relevant. Wichtig ist nur, dass Inspiration und Verständnis in zwei Richtungen geflossen sind und somit etwas Neues entstanden ist, das wiederum Inspiration entstehen lassen kann und hoffentlich wird. In Iran sind in den letzten Monaten Weichen gestellt worden, die eine politische und wirtschaftliche Öffnung begünstigen. Politische und wirtschaftliche Annäherungen sind heutzutage jedoch nicht mehr möglich, ohne Austausch in den Bereichen der Kultur und der Wissenschaften zu fördern. Nur ganzheitliche Kooperation in allen Bereichen kann langfristig dafür sorgen, dass man zu starken Partnern wird und Herausforderungen wirksam und umfassend angehen und lösen kann.

Diese Ausstellung wird einen weiteren kleinen Teil dazu beitragen, dass sich Iran und Deutschland annähern. Sie ist eine weitere Brücke zwischen unseren Ländern, zwischen den Menschen beider Länder, die sich auf diesen Brücken treffen und die Hand geben und gegenseitig kennenlernen können. Ganz im Sinne von Goethe, als er, inspiriert von Hafez, die obigen Zeilen schrieb.